Klimahelden Blog

Aufforstungsprojekte: Zertifikate in der Kritik

Geschrieben von Daniela | 30.01.2023 14:04:17

Seit einer Untersuchung von Journalist*innen von DIE ZEIT, The Guardian und SourceMaterial stehen Aufforstungsprojekte zum Klimaschutz stark in der Kritik. Die Erkenntnisse, die auf Studien über Projekte der Nichtregierungsorganisation (kurz: NGO) Verra beruhen, zeigen eindeutig, dass nur ein Bruchteil tatsächlich zum Schutz des Klimas beiträgt. Insgesamt verteilt Verra für Aufforstungsprojekte viel zu viele CO2-Zertifikate und überschätzt die Wirkung der Projekte um ein Vielfaches.


Inhalt

Verra und die Geister-Zertifikate

Kritik an Verra Standards

Verras Gegenargumente

Studienergebnisse in Zahlen

Die Zukunft der Aufforstungsprojekte

Fazit

Unsere Rückschlüsse für die Klimahelden

FAQs

 

 

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Verra und die Geister-Zertifikate

Verra gilt als größter Anbieter von CO2-Zertifikaten auf dem freiwilligen Emissionsmarkt. Insgesamt stellt die NGO 75 Prozent der weltweit gehandelten Zertifikate und bedient große Firmen wie Gazprom, Apple, Netflix und Shell [1,2]. Wir haben für dich in fünf Schritten zusammengefasst, wie die CO2-Kompensation in Unternehmen funktioniert.

Quelle [3]     

Studien und Berichte Angestellter, die Verras Projekte überprüfen, zeigen nun, dass es viele Zertifikate nicht hätte geben dürfen, da sie auf falschen Berechnungen basieren oder ihr Ziel, Abholzung zu stoppen und Wälder zu schützen, gänzlich verfehlen. Durch diese Geisterzertifikate konnten sich Unternehmen als nachhaltig darstellen, obwohl die unterstützen Projekte kaum einen positiven Klimabeitrag geleistet haben.

Was ist ein Geister-Zertifikat?

Als Geister-Zertifikat (Englisch: phantom credits) werden die CO2-Zertifikate bezeichnet, die auf dem Markt sind, aber gar kein CO2 kompensieren. Vielen Projekten werden mehr CO2-Zertifikate zugesprochen, als durch das Projekt tatsächlich kompensiert wird. Gründe hierfür sind die falsche Kategorisierung gefährdeter Wälder sowie Berechnungen, die nicht dem realen Einfluss auf das Klima entsprechen.

CO2-Zertifikate werden von Unternehmen gekauft, um den CO2-Fußabdruck des Unternehmens oder eigener Produkte zu kompensieren und damit klimaneutral zu stellen. Klimaneutral bedeutet hierbei, dass die Treibhausgasemissionen (kurz: THG-Emissionen), die durch Aktivitäten des Unternehmens ausgestoßen werden, an anderer Stelle wieder kompensiert werden – d.h. eingespart oder gebunden.          

Verra sollte eigentlich für die Zuverlässigkeit der Zertifikate sorgen und den Käufer*innen die Sicherheit geben, dass die zertifizierten Projekte in ihrem Verra Registry im korrekten Umfang THG-Emissionen kompensieren. Dabei ist Hauptaufgabe der NGO, die Methodik zu erstellen, um Klimaschutzprojekte ins Leben zu rufen und deren Einfluss zu berechnen [2]. Nun wurden drei Studien zur Bewertung der Aufforstungsprojekte herangezogen. Eine Studie wurde von der Cambridge University durchgeführt, und betrachtete 32 Projekte. 19 der Projekte sind auch Teil der anderen beiden Studien, welche ein weltweites Forschungsteam durchgeführt hat. Diese Studien untersuchten von Verras 87 Aufforstungsprojekten ein Drittel – d.h. 29 Projekte [2]. Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass 90 Prozent daraus Geisterzertifikate sind und lässt vermuten, dass das eigentliche Ausmaß bei den Verra Zertifikaten deutlich höher ist [1]. Die fragwürdige Methodik bei Aufforstungsprojekten hat Verra unter anderem ermöglicht, eine Nische zu bedienen, denn Verras Konkurrent – Gold Standard – bietet schon gar keine CO2-Zertifikate aus Aufforstungsprojekten an.

         

 

Die Fehler im Verra Standard

Der größte Fehler, den Verra beim Ausstellen der CO2-Zertifikate für verschiedene Projekte gemacht hat, ist die Überschätzung der Projekte. Häufig wird viel Output in wenig Zeit gefordert, um den größtmöglichen, kurzfristigen Profit zu erreichen. Darunter leidet schließlich vor allem das Klima, denn Unternehmen können sich mit wenig Geld vermeintlich klimaneutral stellen und Konsument*innen kaufen unbekümmert weiterhin klimaschädliche Produkte [1].

Sie machen aus Unternehmen, die dem Klima schaden, Unternehmen, die nachhaltig wirtschaften.
DIE ZEIT

Insgesamt sind 40 Prozent der CO2-Zertifikate von Verra aus Aufforstungsprojekten. Die Gruppe an Wissenschaftler*innen, die 29 Projekte untersucht haben, kam zur Erkenntnis, dass nur 6 Prozent der CO2-Zertifikate wirklich THG-Emissionen reduziert haben. Dabei haben die Wissenschaftler*innen die Flächen der Projekte betrachtet und berechnet, wie viel CO2 gebunden worden wäre, ohne die Zertifizierung als Klimaschutzprojekt [2]. Größtes Problem der Projekte ist eine deutliche Überschätzung der Kompensationskapazität. Von den 29 untersuchen Verra Projekten wiesen nur 8 Projekte eine tatsächliche Reduktion der Abholzung vor. Bei 7 der Projekte waren es dennoch 52 bis 98 Prozent weniger Kompensation als CO2-Zertifikate verteilt wurden. Nur ein Projekt hat einen höheren Klimabeitrag geleistet als behauptet – mit 80 Prozent [3].

Die Cambridge-Studie hat zudem gezeigt, dass die Gefährdung der Wälder um durchschnittlich 400 Prozent überschätzt wird. Von den insgesamt 32 Projekten gibt es drei Projekte in Madagaskar mit einem eindeutigen positiven Klimabeitrag. Werden diese Projekte aus der Rechnung genommen, so wird die Gefährdung der Wälder sogar um 950 Prozent überschätzt [3]. Insgesamt behaupten die Projekte Wälder in der Größe Italiens zu schützen, während eigentlich nur die Größe Venedigs geschützt wird [2].

In einem Einzelfall des Projektbetreibers South Pole kam es zudem vor, dass die Anzahl der CO2-Zertifikate von ursprünglich 52 Millionen Tonnen auf 197 Millionen Tonnen gestiegen ist, nachdem die Kompensationskapazität nochmals berechnet wurde [2]. Ein weiterer Fall vom Projektbetreiber BAM zeigt, dass während der Projektlaufzeit die Grenzen des Projektgebiets verändert wurden. Grund dafür war, dass in den ausgeblendeten Gebieten Bäume gefällt wurden und dies in die Berechnung für die CO2-Zertifikate eingeflossen wäre.

 

Verra verteidigt ihre Aufforstungsprojekte

Verra äußerte sich auch selbst auf die Kritik gegen ihre Aufforstungsprojekte und ihre Methodik. Sie kritisieren die Wissenschaftler*innen, weil diese ortsgebundene Faktoren und Kräfte im Bereich der Abholzung nicht ausreichend berücksichtigt haben [2]. Außerdem hatte das Forschungsteam nicht das gesamte Wissen über die Bedingungen vor Projektbeginn. Dabei beziehen sie sich unter anderem auf Ereignisse, wie die Wahl des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro [3].

Die NGO versucht ihre Anforderungen und ihren Methodenkatalog mittlerweile bereits alle sechs Jahre zu überarbeiten statt nur alle zehn Jahre. Dabei implementieren sie Methoden in ihre Standards, die von Wissenschaftler*innen erstellt wurden. Verra hat außerdem den Zeitabstand verkürzt, indem Projektbetreiber die bevorstehenden Gefahren auf den neuesten Stand bringen müssen. [3]

Insgesamt verteidigt Verra sein Handeln, denn durch die Zertifizierung der Aufforstungsprojekte flossen Milliarden Dollar in den Globalen Süden und konnten hier nachhaltige Entwicklung fördern [3].

 

Zahlen und Fakten der Studien

Haben Aufforstungsprojekte nocht eine Zukunft?

Gold Standard bietet keine Aufforstungsprojekte an, Verra steht für falsche Berechnungen stark in Kritik und bereits vor Veröffentlichung der Untersuchung gab es immer kritische Stimmen gegenüber Aufforstungsprojekten. Meist stimmen Satellitendaten mit den geplanten und genehmigten Mengen an CO2-Zertifikaten nicht überein. In einer weiteren Untersuchung eines Aufforstungsprojekts in Kalifornien wurden drei Probleme identifiziert [4]:

1 Die Projekte binden nicht mehr CO2 ein, im Vergleich zum Zeitraum vor Projektbeginn oder Gebieten, die nicht unter einem Klimaschutzprojekt stehen.
2 Viele Projektbetreiber sind Forstkonzerne, die Projektbedingungen gerade noch so erfüllen, obwohl in den Gebieten Bäume gefällt wurden und weiterhin werden.
3 In manchen Gebieten werden geschützte Baumarten mit Baumarten, die nicht von der Holzgewinnung gefährdet sind, in einem Projekt zusammengefasst. Häufig ist der prozentuale Anteil der schützenswerten Baumart im Gebiet nur sehr gering und die Fläche ist hauptsächlich von Bäumen, die nicht für die Holzgewinnung genutzt werden, bepflanzt.

Dennoch sollten Aufforstungsprojekte nicht gänzlich aufgegeben werden, denn der Schutz der Regenwälder ist essenziell, um auch das Klima zu schützen. Daher fordern Wissenschaftler*innen ein neues System für die Messung von Emissionsreduktion, damit das Vertrauen der Gesellschaft zurückgewonnen werden kann und der Waldschutz weiterhin finanziert werden kann [3]. Große Aufgabe dabei ist, die Komplexität von Aufforstungsprogrammen zu verstehen und in die Berechnungsprozesse einfließen zu lassen. Denn nur so kann vermieden werden, dass Aufforstung künftig nur noch als PR-Aktion gilt und intakte Ökosysteme zerstört werden.


Fazit

Prinzipiell gilt, dass insbesondere bei Aufforstungsprojekten doppelt hingeschaut werden muss, ob das Ergebnis wirklich realistisch ist. Hierbei können Wissenschaft und die Auswertung von Satellitendaten helfen. Dennoch müssen wir langfristig einen Mechanismus finden, der Wälder nachhaltig und vertrauenswürdig schützt, damit Regenwälder nicht weiterhin abgeholzt werden. CO2-Kompensation kann schließlich auch im Bereich der (Wieder-)Aufforstung einen sinnvollen Beitrag zum Klimaschutz leisten, allerdings ist es nur eine Stellschraube von vielen und sie muss gewissenhaft durchgeführt werden.

 

Unsere Entscheidung und ihre Begründung

Wir haben uns daher entschieden vorerst keine weiteren CO2-Zertifikate aus Aufforstungsprojekten zur direkten Kompensation der eigenen Emissionen anzubieten. Das Verra-Projekt, welches wir bislang unterstützt haben (VCS-ID 832), wurde im Rahmen der Studien nicht untersucht [5,6]. Grund hierfür ist laut einer der Studien die Herangehensweise und das Ziel des Projekts, welches sich von anderen Projekten unterscheidet. Im Anhang beschreiben die Autor*innen ihre Entscheidung:

“We did not evaluate these projects because they make fundamentally different assumptions. Their baselines are defined by the amount of forest that can be legally cleared inside the project boundaries in accordance with the Brazilian Forest Code, and they seek to avoid that planned, legal deforestation” [5].

Wir halten die Unterstützung von (Wieder-)Aufforstung und Waldschutz allerdings für sehr sinnvoll und sehen eine Möglichkeit darin, neben der Kompensation auf die Netto-Null im Unternehmen, zusätzlich Projekte für den Waldschutz zu unterstützen.

 

 

 Quellen:

[1] Fischer, Tin & Hannah Knuth: 2023. Grün getarnt. DIE ZEIT, URL: https://www.zeit.de/2023/04/co2-zertifikate-betrug-emissionshandel-klimaschutz.

[2] SourceMaterial: 2023. The Carbon Con. SourceMaterial, URL: https://www.source-material.org/vercompanies-carbon-offsetting-claims-inflated-methodologies-flawed/.

[3] Greenfield, Patrick: 2023. Revealed: more than 90% of rainforest carbon offsets by biggest provider are worthless, analysis shoes. The Guardian, URL: https://www.theguardian.com/environment/2023/jan/18/revealed-forest-carbon-offsets-biggest-provider-worthless-verra-aoe.

[4] Coffield, Shane & James Randerson: 2022. Satellites detect no real climate benefit from 10 years of forest carbon offsets in California. The Conversation, URL: https://theconversation.com/satellites-detect-no-real-climate-benefit-from-10-years-of-forest-carbon-offsets-in-california-193943.

[5] West, Thales A. P., Jan Börner, Erin O. Sills & Andreas Kontoleon: 2020. Overstated carbon emission reductions from voluntary REDD+ projects in the Brazilian Amazon. PNAS (117) Nr. 39, S. 24188-24194, URL: https://www.pnas.org/doi/suppl/10.1073/pnas.2004334117.

[6] Guizar-Coutiño, Alejandro, Julia P. G. Jones, Andrew Balmford, Rachel Carmenta & David A. Coomes: 2022. A global evaluation of the effectivesness of voluntary REDD+ projects at reducing deforestation and degradation in the moist tropics. Conservation Biology (36) Nr. 6, URL: https://conbio.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/cobi.13970.